Persischer Powder

Von Jonas Blum am 29.Mär. 2016

Die aktuellen politischen Meinungen über den Iran sind gespalten. Meist überwiegt das Negative. Atomprogramme, westliche Sanktionen, Kriegsandrohungen. Die wenigsten Nachrichten drehen sich um das eigentliche Land und die Bevölkerung. Aber Freeriden im Iran? Trotz vieler Unklarheiten und Unbekannten begeben wir uns für eine Film- und Fotoskisafari auf eine Skitourenreise in die persische Bergwelt.

 

Wir sitzen in einem traditionellen Restaurant in Teheran, Hauptstadt des Iran. Genüsslich zerstampfen wir ein Gericht namens „Abgusht“, ein Eintopf aus Lammfleisch, Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln. „Sobald ihr den Eintopf in Brei verwandelt habt, müsst ihr ihn mit dem Fladenbrot auslöffeln. So isst man das richtig.“, erklärt uns Vala, unsere iranische Begleitung und Organisator unserer Skireise in den Iran. Das Gericht ist lecker, wir sind zufrieden, nichtsahnend was noch alles auf zu kommen wird.

Im Iran muss man die mühsame Bürokratie und den Staat unserer Erfahrung nach ganz klar vom Volk und deren Lebensfreude trennen. Das Volk strahlt völlig andere Werte aus, als jene die wir in den westlichen Medien über den Iran mitbekommen. Natürlich ist das Skifahren die grosse Leidenschaft die uns antreibt, was schlussendlich aber das Erlebnis einzigartig macht, das sind eben doch die Begleiter und Begegnungen, die wir dabei machen.

Unser uralter roter Mercedes Bus nimmt gerade volle Fahrt auf. Er quält sich eine holprige Bergstrasse hoch.  Mit an Bord sind die Skifahrer Fabian, Raphael, Roman, Daniel sowie Simon und Jonas als Filmer und meine Wenigkeit. Das arme Gefährt ist durch die sieben Leute unserer Gruppe, mit dazugehörendem Skimaterial schon gut gefüllt. Nichtsdestotrotz zwängen sich noch weitere fünf Personen in den Bus. Sie wurden uns als „Guides“ aufgebrummt. Die ganze Ladung ist unterwegs zu einem See im nirgendwo in den „Oshtoran Kooh“ Bergen, in einem Land, das den Meisten nur durch Negativschlagzeilen bekannt ist. Im Moment nerven wir uns aber weniger die weltpolitischen Diskussionen um Atomprogramme, sondern vielmehr unsere lauthals brüllenden Begleiter. Das iranische Sprechorgan scheint mehr ein Brüllorgan zu sein, das ständig auf volle Lautstärke gedreht ist. Ohne Lokalkenntnisse wären wir hier allerdings komplett aufgeschmissen, und irgendwie sind wir mehr am Lachen und Mitbrüllen. Weitere fünf Personen mitzunehmen, auf die wir in den Bergen „aufpassen“ müssen, war allerdings nicht Grundgedanke unseres Plans.

Wartezeit

Fünf Tage nach unserem ersten iranischen Abendessen sitzt unsere Gruppe im Hotelzimmer und versucht die Entwicklungen abzuschätzen. „Wenn die Iraner uns weiterhin so viele Steine in den Weg legen, gehen wir einfach auf eigene Faust los“, mein Fabi. Wir ärgern uns.  Die vermeintlich einfache Aufgabe, im Iran Skifahren zu gehen, entwickelt sich immer mehr zur Papierschlacht. Um legal Filmen und herumreisen zu können, brauchen wir plötzlich etliche Bewilligungen und Absegnungen von diversen Behörden. Zudem sei das Reisen ohne Guides nicht mehr möglich. Das beschaffen dieser Dokumente braucht Zeit und scheint für uns unnötig zu sein. „Ihr könnt nicht ohne offizielle Absegnung losziehen, falls euch etwas zustösst, kommen wir ins Gefängnis. Wir sind verantwortlich für euch, ob ihr wollt oder nicht. So läuft das hier!“, nimmt uns Vala gleich die Luft wieder aus den Segeln. Es scheint, dass wir nicht um Guides und offizielle Zustimmung herumkommen.

Jetzt verstehen wir langsam auch, warum die Iraner uns unbedingt vom Skifahren in der Provinz Lorestan abhalten wollten. Die Region sei sowieso zu gefährlich für uns. Bewaffnete Nomaden, Wölfe und Bären warteten auf frisches Westler-Fleisch und im Ernstfall gäbe es keine Rettung. All die Schwarzmalerei nur deswegen, weil die Iraner um ihre Gäste, uns, sehr besorgt sind und eben – im Notfall – auch für sie haften. Angetroffen haben wir im Iran schlussendlich nur freundliche Leute und einen Otter in der Wildnis – auch der war nicht gerade angriffswütig.

Die holprige Bergstrasse ist mittlerweile mit Schnee bedeckt. Bei der ersten ansteigenden Kurve, bleibt die rote Schrottkiste stecken. „No problem!“ meint Bahman, unser Hauptguide, und der Einzige der so halbwegs des Englischen mächtig ist. Die fünf Guides und der Fahrer steigen aus und beginnen verrostete Schneeketten mittels spröden Gummizügen zu befestigen. Die Kombination ist ein echtes winning team. Ganze drei Kurven lang.

Man weiß, dass man nichts weiß

No Problem“, die schrottreifen Ketten werden irgendwie wieder an den sich drehenden Gummirestmüll rangebastelt und zur Unterstützung schieben wir das rote Ungestüm mit allen Kräften. Mit den Lawinenschaufeln graben wir Passagen durch die dicker werdenden Schneebänke, doch uns wird klar, weit kommen wir so nicht mehr. Irgendwann reißen die Schneeketten dann endgültig und unsere Guides sehen ein, dass das Fortbewegungsmittel gewechselt werden muss.

Dass es schwierig ist, an vertrauenswürdige Information zu kommen, war uns bewusst. Gerade die Auswahl an skispezifischen Erfahrungen in der Gegend, tendiert gegen Null. Aus Kartenstudium konnten wir die Distanz zu unserem vermeintliche Ziel, den Gahar See, einigermassen abschätzen. Wie lange man für diese Strecke braucht? Unklar. Um die Verwirrung zu komplettieren, bekommt man von jeder Auskunft eine andere Aussage. 15 Kilometer, das sind geschätzt zwei Stunden. Der nächste meint, eher so gegen sechs Stunden. Und ein dritter sagt, jetzt, mitten im Winter, komme man da sowieso nicht hin. Auf den Winter waren wir gewappnet, jetzt stehen wir irgendwo mittendrin und stecken fest.

Der komplette Inhalt des Busses wird umgeladen und wir legen los. Filmen in den Bergen bedeutet immer viel Aufwand und Schlepperei, deswegen haben wir uns vorbereitet und behelfsmässige Schlitten aus Ersatzskis zusammengebaut. Darauf können wir die schwersten Gegenstände gemütlich hinter uns herziehen. Soweit die Theorie. Unsere Gruppe auf Tourenski, während die iranische Begleitung zu Fuss hinterher stapft.

Eine Kalaschnikow hat immer recht.

Der See befindet sich in einer der seltenen Naturschutzzonen im Iran. Im Sommer kann man den See problemlos besuchen, im Winter geht kaum jemand hin. Der Wächter vor der Eingangstür zum Park hat mit seiner Kalaschnikow durchaus schlagkräftige Argumente. Er macht uns unmissverständlich klar, dass wir hier nur reinkommen, wenn er die Erlaubnis dazu gibt. Wenn man als friedfertiger Europäer etwas auf Reisen lernt, ist es, dass eine Kalaschnikow immer Recht hat.

Der Boss muss das alles zuerst Bewilligen, wird uns vermittelt, und der ist im Tal. Damit der Boss seine Einwilligung gibt, muss der Boss des Bosses das „OK“ geben. Dummerweise ist der in Teheran. Eine vertrackte Situation: Wir sind am Berg und sollten in Teheran eine Bewilligung abholen. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt angelangt.

Für den Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als hier im Wärterhäuschen zu übernachten und uns mit der Versprechung zufriedenzugeben, dass die Bewilligung in Teheran organisiert werde. Laut Bahman’s Aussage haben wir bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr die nötige Erlaubnis. Wir verfluchen die iranische Bürokratie, die Parkwächter und unsere Guides, die trotz mehrmaliger Zusicherung, nicht imstande waren all die nötigen Dokumente zu organisieren. Am Abend lädt uns der Wärter zu einem Essen ein, entschuldigt sich und versucht uns zu erklären, dass ihm die Hände gebunden sind. Uns Groll verschwindet bald und macht einer gemütliche Stimmung mit viel Gelächter Platz. Sprachliche Kommunikation ist anders auch gar nicht möglich.

Motiviert stehen wir um 7 Uhr in der Früh auf, und warten auf die 9 Uhr Bestätigung. Es ist mittlerweile zehn Uhr. Elf. Zwölf. Maximal noch eine halbe Stunde warten, werden wir vertröstet. Der zwischenzeitliche Besuch des Bosses hilft auch nichts, er will nicht, dass wir ohne Freigabe aus Teheran in den Park gehen. Dafür „schenkt“ er unserer schon 12 Personen umfassenden Gruppe, noch zwei bewaffnete Wächter als Begleitung. Macht dann acht Begleitpersonen für sieben Skifahrer. Starkes Betreuungsverhältnis. Um 15 Uhr ist immer noch nichts geregelt. Die Stimmung erreicht ein Rekordtief und manch einer denkt wir müssen hier unverrichteter Dinge wieder abziehen.

16 Uhr. Es tut sich was, unser kleines Grüppchen darf losgehen. Sieben Skifahrer, ein Hauptguide, zwei lokale Guides mit deren drei Kollegen und zwei Kalaschnikowträger. Die Skischlitten erweisen sich bald als nur bedingt tauglich. In den vielen Traversen und spätestens als bei einem Abstieg in einem Südhang, überhaupt kein Schnee mehr liegt sind sie komplett nutzlos. Dass es schon vor einer Stunde dunkel geworden ist, hilft auch nicht besonders. Immerhin wissen wir zu dem Zeitpunkt nicht wie weit es noch ist. Das ist ja manchmal auch besser so.

Das Schlittenmaterial wird auf die Rucksäcke aufgeteilt und der Fussmarsch in die Dunkelheit fortgesetzt. Nach 400 Höhenmetern im Talboden liegt immerhin wieder Schnee und wir können den Weg auf Ski fortsetzen. Die Guides können oder wollen uns nicht sagen wie weit es noch ist und fallen, im Schnee einsinkend, immer mehr zurück. Nach mehr als neun Stunden Plackerei war die Crew am Ende.

Iranischer Pulverschnee

Endlich am Ziel und am Skifahren. Wir sind in unserem Element. Die Gegend ist einzigartig. Der Bergsee mit glasklarem Wasser ist auf 2300 Meter gelegen, nicht gefroren und gibt einen wunderbarern dunklen Kontrast zur Umgebung. Auf der Nordseite des Sees sind die Steilhänge von einigen 4000er Gipfeln, sie bleiben bis auf 3000 Meter auch mitten im Winter aper. Auf der anderen Seite erlauben die schneebedeckten Nordhänge 1000 Höhenmeter lange Abfahrten vom Gipfel direkt zum See. Schnell stellte sich die gewohnte Camp Routine in den Bergen ein. Aufstehen, Essen, Skifahren, Essen, Schlafen. Das vollendete Skifahrerleben – ganze 3 von 14 Reisetagen.

Die anfänglichen Befürchtungen, die Guides werden uns beim Skifahren behindern, erweisen sich als unbegründet. Im Gegenteil, sie sind zwar besorgt um unsere Sicherheit jedoch ebenso begeistert am Zuschauen, wie die Fahrer Spuren auf die Hänge zeichnen. Am Abend freuen sie sich mit uns und wir messen uns beim Wettkochen von Tee, erteilen erste Skilektionen, fischen gemeinsam am See und lassen uns volkstümliche Tänze zu iranischem Pop beibringen. So können wir ihnen schnell verzeihen, dass sie uns verschwiegen haben, dass am Ufer des Sees eine leere Hütte steht und wir die Zelte vergeblich mitgeschleppt haben.

Iran für Freerider

Die Berge im Iran bieten ein riesiges unerschlossenes Potential für Freerider. Jedenfalls solange man lange Zustiege nicht scheut. Für den Abenteurer gibt es zwei gewaltige Gebirgszüge zu erkunden. Im Norden das Elbrus Gebirge mit dem thronenden 5671 Meter hohen Damavand. Im Westen des Landes liegt über die gesamte Nord/Südausbreitung des Irans, das Z?gros-Gebirge, mit vielen Gipfeln über 4000 Meter. Diese Gebirge sind quasi unerschlossen und im Winter menschenleer.

Leider spielt das Wetter nicht mit unseren Plänen mit und so ziehen am Abend des 3 Tages bereits einige Schleierwolken auf. Da die Prognose schlecht aussieht, entscheiden wir uns schweren Herzens diesen schönen Flecken Erde schon wieder zu verlassen. Wir starten früh morgens, wohl wissend welche Strecke noch vor uns liegt. Für den steilen Gegenanstieg werden uns Esel als Lasttiere versprochen, Bahman hat sie kurzerhand organisiert. Doch am Fuße des auf Aufstiegs fehlt von den Huftieren jegliche Spur. Die kommen uns erst nach der Hälfte entgegen während wir uns selber schon wie Packesel fühlen. Die Esel bringen unser Gepäck mehr oder weniger komfortabel zum Wärterhaus zurück.

Wir sitzen wieder in unserem alten Gefährten, dem roten Kleinbus, und sind zurück in die iranische Zivilisation. Wir haben gerade ein weiteres Mal für acht Stunden Material durch die Gegend geschleppt.

Zur statistischen Auswertung, die Reise kurz zusammengefasst: Wir waren 14 Tage im Iran, acht Tage davon verbrachten wir damit alles zu organisieren, je einen Tag zum Rein- und Rauslaufen, einen Tag für Sightseeing in Isfahan und volle drei Tage am Skifahren. Das meiste davon in Begleitung von acht Personen. Die Stimmung ausgelassen und wir haben längst mit unseren unfreiwilligen Begleitern Freundschaft geschlossen. Zum Abschied lachen wir gemeinsam und singen iranische Lieder.

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